Erna Pfeiffer (Graz) Gerling, Vera Elisabeth (2004): Lateinamerika: So fern und doch so nah? Übersetzungsanthologien und Kulturvermittlung. Tübingen: Gunter Narr Verlag. (= Transfer, Düsseldorfer Materialien zur Literaturübersetzung, 17) [mit beiliegender CD-ROM]Mit der rhetorischen Frage des Titels, der die "zwiespältige Gemütslage zwischen Nähe und Ferne" (11) wiedergibt, deutet Vera Elisabeth Gerling bereits einen großen Spannungsbogen an, in den sich ihre detail- und aufschlussreiche Studie einreiht: den der Rezeptionsforschung und hier im engeren Sinne der Frage nach der Wahrnehmung des Fremden in einem ganz konkreten Medium, nämlich der Übersetzungs-Anthologie: 20 Sammlungen von lateinamerikanischer Kurzprosa, die im Zeitraum zwischen 1945 und 2000 in deutscher Sprache erschienen sind, werden mit der Methode der Foucaultschen Diskursanalyse einer eingehenden Analyse unterzogen. In drei Schritten, nämlich einer quantitativen, einer qualitativen und einer Übersetzungsanalyse, belegt Gerling an Hand von vielen illustrativen Beispielen ihre vier Hauptthesen:
Gerling entwickelt diese Thesen und deren Untermauerung sozusagen in mehreren konzentrischen Kreisen, mit immer wieder neuem, überzeugendem Belegmaterial, was ihre Darstellung einerseits recht eindringlich macht, andererseits auch gewisse Wiederholungen bzw. nur geringfügig variierte Nuancen mit sich bringt. Das gesamte Buch ist sehr sorgfältig redigiert und weist nur wenige Druckfehler auf (etwas mehr in dem nicht gedruckten, sondern nur als PDF-File auf der CD-ROM beigelegten zweiten, empirischen Teil). Drei effektive Fehler, die in einer eventuellen Neuauflage korrigiert werden müssten, mögen dennoch angemerkt werden: S. 103: Chac Mol [sic] wird hier als "Inka-Gott" bezeichnet, während der in Carlos Fuentes' Erzählung genannte Chac Mool ein mexikanischer Gott toltekischen Ursprungs ist. S. 111: Hier wird behauptet, die im Original "La rebelión de los niños" betitelte Erzählung von Cristina Peri Rossi sei "erstmals" in der von Peter Schultze-Kraft herausgegebenen Anthologie Der Paradiesbaum (1988) unter dem Titel "Die Stunde der Wahrheit" publiziert worden (in der Übersetzung von Cornelia Audran und Gert Loschütz, wie ich der CD-ROM entnehmen konnte). Mir sind zumindest zwei frühere Veröffentlichungen der selben Erzählung, allerdings unter dem Titel "Die Rebellion der Kinder" bekannt: 1982 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar und 1985 in Der Abend des Dinosauriers. Erzählungen im Fischer Taschenbuch Verlag, S. 129–170, in der Übersetzung von Ursula Roth, in einer Lizenzausgabe der vorgenannten Publikation. S. 112: Das argentinische Nationalepos Martín Fierro (1872/79) stammt selbstverständlich von José Fernández (1834–1886) und nicht, wie fälschlich angegeben, vom Uruguayer Felisberto Hernández (1902–1964). Alles in allem ein sehr lesenswertes Buch, das sowohl der literarischen Rezeptionsforschung als auch der Translations- und Kulturwissenschaft wichtige neue Erkenntnisse bringen wird. |