Boštjan Dvořák (Tübingen)
Kurzer Umriss des Verbalsystems im OjibwayA short sketch of the Ojibway verbal system 1 Verbreitung des OjibwayOjibway (in anderer Schreibweise Ojibwa, Ojibwe, Otchipwe oder Chippewa) ist ein zentraler Vertreter der algischen Sprachfamilie (früher: Algonquinfamilie) der amerindischen Sprachen Nordamerikas. Es wird heute in den Staaten Michigan, Wisconsin, Minnessota und Norddakota (USA) sowie Ontario, Saskatschewan und Manitoba (Kanada) gesprochen und zählt in Anbetracht seiner Sprecherzahl (rund 50.000) zu den verhältnismäßig gut vertretenen indianischen Sprachen Nordamerikas mit einer eigenständigen modernen Literatur. Die unten abgebildete Karte soll eine Vorstellung der einstigen Ausdehnung im Gebiet der Großen Seen vermitteln; die wichtigsten Zentren befinden sich heute vorwiegend südlich, westlich und nördlich des Obersees (Lake Superior), während die Sprache im Westen an Dakota (Lakota), im Osten an das nahverwandte Ottawa und Algonquin (ursprünglicher Namensgeber der Sprachfamilie), und im Norden an den nördlichen Verwandten Cree grenzt.
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2 Sprachtyp und SatzbauOjibway wird, wie auch die Mehrheit der algischen und ein großer Teil anderer amerindischer Sprachen, als eine polysynthetische Sprache bezeichnet; dieses sprachtypologische, allgemeine Charakteristikum der algischen Sprachen bezieht sich vor allem auf die typische Satzkonstruktion, die durch eine Vorliebe für Ein-Wort-Verbindungen aus verschiedenen Elementen gekennzeichnet ist, welche in anderen (z.B. europäischen) Sprachen durch mehrere Einzelwörter ausgedrückt werden. So entstehen verhältnismäßig lange Wortgebilde, die den Eindruck vermitteln, "alles stecke im Verb". Zum Beispiel: Nisaagiaa Kiwaabamaag Onoondawaan Kawin ningiwaabamaassi Kawin ningiwaabamaassig Saagiaa 'lieben' und waabamaa 'sehen' sind transitive Verben und finden nur in Verbindung mit einem Objekt Gebrauch; dieses ist durch die Endung -aa (Sg.) bzw. -aag (Pl.) gekennzeichnet. Nehmen wir das Verb waabamaa 'sehen' als Beispiel: Die Grundform bedeutet gemäß der obigen Feststellung nicht "sieht", sondern "sieht ihn (sie/es)". In der interlinearen Übersetzung ist daher '-aa: Obj.Sg. ' eine Wiederholung der Endung '-aa' des Verbs, die der Grundform (wie z.B. die Infinitive im Deutschen) entspricht. In dieser Hinsicht werden amerindische Sprachen oft allgemein als inkorporierend bezeichnet, was jedoch nur für einige unter ihnen auch tatsächlich gilt; die meisten gehören dem agglutinierenden Typ an, so auch das Ojibway. Während der inkorporierende Sprachbau sich durch Veränderungen am Verbstamm, insbesondere durch Infixe, auszeichnet, verfahren die agglutinierenden Sprachen mit Anfügen von Prä- und Suffixen; werden diese auch zu größeren Gebilden aneinandergefügt, so sind sie dennoch als solche erkennbar. Zum Beispiel:
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aiaa mino-aiaa kitchi-mino-aiaa aapitchi-kitchi-mino-aiaa wa-apitchi-kitchi-mino-aiaa ge-wi-apitchi-kitchi-mino-aiaa Dies ist alles 3. Person Sg., für die kein Personalpronomen verwendet wird; für die 1. bzw. 2. Person Sg. werden die Pronomina nin 'ich' und ki 'du' präfigiert. Partizipien erhalten am Ende das Suffix -d (in der 3.P.Sg.) bzw. -n (in der 1. und 2.P.Sg.) und drücken oft Relativsätze aus, z.B.: inini-aapitchi-kitchi-mino-aiaad Partizipialkonstruktionen in der Rolle von Relativsätzen sind für diesen Sprachtyp zu erwarten und tatsächlich häufig im Gebrauch.
3 PronominalsystemDie 3. Person Sg. gilt als die Grundform des Verbs schlechthin eine Infinitivform ist dem Ojibway unbekannt und entbehrt außerdem jeglicher Personalpronomina (auch im Pl.) im Gegensatz zur 1. und 2. Person. Zwar erhalten transitive Verben in der 3. Person ein o- als Präfix, doch handelt es sich dabei um eine Kennzeichnung des direkten Objekts und nicht des Subjekts.
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Es fällt nun auf, dass die Einzahl und die Mehrzahl sowohl der 1. als auch der 2. Person sich im Subjekt pronominal nicht unterscheiden, sondern nur durch die Verbendung; dies gilt für alle Verben und ist ein typisches Merkmal des Ojibway. Ferner sind die 1. und die 2. Person in der Einzahl in der Verbform identisch und unterscheiden sich nur anhand des präfigierten Personalpronomens. Ebenso lauten Einzahl und Mehrzahl des Objekts in der 3. Person gleich. Man kann erkennen, dass es sich (bei transitiven Verben) um eine Kombination zwischen der subjektbezogenen und der objektbezogenen Konjugation handelt, wobei jedoch die Pluralmorpheme des Objekts einen festeren Bestandteil des Verbs darstellen als die präfigierten Pronomina (1. und 2. Person) des Subjekts, die manchmal auch getrennt geschrieben werden. Eine weitere pronominale Eigenart des Ojibway (und mancher seiner Nachbarsprachen) sind zwei verschiedene Formen für die 1. Person Plural, das Phänomen des sog. exklusiven und des inklusiven "wir". Das erste, die nun schon bekannte Form nin(d) (bzw. ninawind) wird dann verwendet, wenn der Sprecher die angesprochene(n) Person(en) nicht in die Rede einbezieht, das andere, die Form ki(d) (bzw. kinawind), wenn er sich auch auf diese Person(en) bezieht. Nehmen wir das Verb ikit 'sprechen' (intr., transitiv bedeutet es 'sagen') als Beispiel:
Wir sehen, dass sich die inklusive wir-Form von der 2. Person Pl. durch die Verbendung unterscheidet, während die exklusive und die inklusive wir-Form anhand des Pronomens auseinandergehalten werden können. Die 3. Person Pl. unterscheidet sich von der Einzahl durch das substantivische Pluralmorphem -wag. Darüber hinaus gibt es noch eine unpersönliche 3. Person Sg -Form, die mit dem lat. dicitur, dem frz. on dit und dem dt. man sagt zu vergleichen ist; sie lautet in diesem Fall: ikitom, ebenfalls ohne Personalpronomen.
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4 Tempussystem und FlexionIm Ojibway gibt es keine Hilfsverben. Durch Hinzufügen von Präfixen wird wie wir bereits gesehen haben auch Tempus zum Ausdruck gebracht. In der wissenschaftlichen Tradition der algischen Sprachen spricht man von sog. Preverbien. Diese sind von den Verben untrennbar. Sie werden aber auch zum Ausdruck des Modus und außerdem in Fällen angewandt, in denen in europäischen Sprachen Adverbien vorkommen, wie wir im Fall von aapitchi 'ganz', kitchi 'sehr' und mino 'gut' bereits sehen konnten. Zitieren wir zur kurzen Illustration der temporalen Preverbien die Angaben aus der ersten Ojibway-Grammatik, dem 1850 erschienenen Werk des slowenischen Missionars Friderik Baraga (A theoretical and practical grammar of the Otchipwe language): Ga-, (pronounced almost ka-,) for the perfect and pluperfect tenses, and participle perfect and pluperfect. Obwohl Baraga, der neben der Grammatik auch ein sehr präzises Ojibway-Wörterbuch und zahlreiche Bücher religiösen Inhalts in der Ojibway-Sprache verfasst hatte, bei seinen sprachbeschreibenden Ausführungen einen verhältnismäßig eigenständigen Weg eingeschlagen hat, zeugen seine Darstellungen der Verbkonjugationen, Tempora sowie die dazugehörige Terminologie dennoch von einer relativ starken Beeinflussung durch die klassische lateinische und griechische Grammatik. Bereits er stellt indes fest, dass die Vergangenheits- und Zukunftspreverbien relativ oft durcheinander geraten, die Vergangenheitstempora er behandelt in seiner Grammatik sehr präzise den Perfekt, Imperfekt und den Plusquamperfekt funktional häufig gar nicht oder nur unsauber voneinander abgegrenzt seien, und eine Unterscheidung zwischen den einzelnen "Zeiten" mitunter erst aus dem Kontext entnehmbar sei. Dies mutet etwas verdächtig an, wenn man bedenkt, dass es in manchen verwandten Sprachen laut einigen Autoren anstatt eines klar definierten Tempus- ein ausgeprägtes Aspektsystem (ge)geben (haben) soll. Zum Vergleich: Tempusbeschreibung des Fox (Algonquin) von Franz Boas (1911: 816):
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Das relative Durcheinander der temporalen Preverbien wird insbesondere beim Futur offensichtlich, bei dem sich die Präfixe für die 3. Person von den anderen unterscheiden. In moderner Zeit wird Futur zudem (vielleicht eben wegen dieser Unregelmäßigkeiten?) häufig durch Moduspreverbien wi- (wa-) und da- ausgedrückt, wobei bei dieser Tendenz möglicherweise eine Anlehnung an das Englische unterstützend gewirkt haben könnte... Futur zum Verb ikit:
Einheitlicher wird dagegen der Perfekt gebildet:
Es gibt ein einziges Tempus, das sich in der Konstruktion von den anderen formal unterscheidet: das Imperfekt. Es wird durch das Suffix -aban gebildet. In den moderneren Quellen tritt der Imperfekt seltener auf:
Plusquamperfekt setzt sich formal aus Perfekt (-gi) und Imperfekt (-aban) zusammen, wodurch eine Umklammerung der konjugierten Verbformen durch das Preverb gi- und das Imperfektsuffix -aban zustandekommt:
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Die Negation umklammert ebenfalls die jeweilige konjugierte Verbform in zwei Teilen, der Negationspartikel kawin und dem Negationssuffix -ssi, vergleichbar etwa mit dem französischen ne ... pas, z.B.: Kawin nind ikitossi Kawin nind ikitossimin Kawin nind ikitossiminaban Kawin nin gi-ikitossimin Kawin nin gi-ikitossiminaban Kawin nin gad-ikitossimin Diese Umschließung der Verbformen durch die Negationsklammer ist, wie wir sehen können, jedoch nicht ganz vollständig; die Endungen des Plurals und des Imperfekts ragen über die Position des Negationssuffixes -ssi hinaus. Bei allen Verbkonjugationen fällt die Sonderstellung der 3. Person auf, die die Grundform des Verbs darstellt und durch das Fehlen der Personalpronomina gekennzeichnet ist.
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5 Einteilung der Verben nach Baragas GrammatikIm Ojibway gibt es verschiedene Verbklassen oder -arten; einige von ihnen sind aus den europäischen Sprachen durchaus geläufig, andere muten fremd und ungewöhnlich an. Das primäre Problem dürfte eine von europäischen Verhältnissen unbeeinflusste, aber dennoch genaue und treffende Darstellung dieser Kategorien sein; mit dieser Schwierigkeit sahen sich zunächst diejenigen konfrontiert, die eine indianische Sprache zum ersten Mal systematisch zu beschreiben wagten. Baraga war zwar als Missionar und später indianischer Bischof von seiner Ausbildung her kein Sprachwissenschaftler, bemühte sich aber dennoch um eine sehr detaillierte und genaue Darstellung der grammatischen Phänomene des Ojibway. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der ursprüngliche Zweck seiner Grammatik eine Lernhilfe für die Missionare war, die diese Sprache erwerben wollten (daher auch die, wie er selbst einräumt, "zu aufwendige", repetitorisch konzipierte Darstellung der Konjugationen), obwohl auch ein großes linguistisches Interesse nicht geleugnet werden kann. Diesbezüglich muß erwähnt werden, dass Vieles, was bei dieser Erstaufnahme beschrieben und benannt wurde, sich bis in die heutige Zeit zu "halten" scheint, so auch seine Klassifikation der Verben; einleitend bemerkt er (S. 84 der Ojibway-Grammatik):
In diesem Sinne teilt Baraga die Verben des Ojibway in transitive und intransitive Verben ein; diese zwei grundlegenden Kategorien gliedert er dann weiter in einzelne Gruppen, die er zum Teil etwas unkonsequent benennt; aus heutiger Sicht erscheint die Einteilung teilweise willkürlich, vor allem im Hinblick auf die nicht überall zutreffende Terminologie. A Transitive VerbenA 1) Aktive Verben. Es handelt sich dabei um von Natur aus transitive Verben, die stets ein Objekt nach sich ziehen, z.B.: Nisaagiaa nooss Kisaagiaa kooss Osaagiaan oossan
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Nindojibiaan masinaigan Im Gegensatz zu den europäischen Sprachen wird das Objekt durch die Verbendung ausgedrückt und nicht durch die Endung des Substantivs markiert. Die Bezeichnung aktive Verben ist im Bereich der amerindischen Sprachen heute noch allgemein gebräuchlich. A 2) Reziproke Verben sind Verben, deren Handlung sich auf das Subjekt selbst bezieht. Heute würden wir sie als reflexive Verben bezeichnen, z.B.: Ningikenimídis Gigikenimídis Gikenimidíso Saagiidiso Die von Baraga für diese Verben gewählte Bezeichnung reziprok ist sehr irreführend, weil es sich nicht um mehrere Subjekte handelt, sondern um eine reflexive Handlung. Genaugenommen ist -idis ein Reflexivsuffix. A 3) Kommunikative Verben. Diese Verben beschreiben eine gegenseitige Handlung der Subjekte und kommen nur in Pluralformen vor, z.B.: Niimiidiwag Zum Vergleich dazu: Niimiiwagnimii: tanzen, intr.; -wag: Pluralsuffix 'Sie tanzen'
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Das Besondere an diesen Verben ist, dass sie intransitiv sind, jedoch in Form des Suffixes -di ein Objekt erhalten, vergleichbar mit dem deutschen 'einander' oder dem englischen 'each-other'. Das Suffix -di signalisiert Gegenseitigkeit. Damit könnten diese Verben nun eher als reziprok angesehen werden als die vorangegangene Gruppe. Baraga entschied sich jedoch für den Terminus kommunikativ. Korrekt betrachtet handelt es sich bei den Verbgruppen A 2 und A 3 nicht um eigentliche Verbklassen, sondern um Verben mit einer bestimmten Suffigierung, die jedoch formal nichts ändert. A 4) Personifizierende Verben. Diese Verben beschreiben Handlungen unbelebter Subjekte, die nach Art von Personen oder anderen belebten Subjekten aktiv sind; sie kommen nur in der 3. Person vor und werden mit Hilfe zweier Personifizierungssuffixe gebildet, -igon und -magad, z.B.: Masinaigan nin gi-bi-odissigon Ninde ki nandawenimigon Ishkotewabo ki makamigon kakina kid aiiman Mandan masinaigan jaganáshimomagad
B Intransitive VerbenB 1) Neutrale Verben sind von Natur aus intransitiv; sie bezeichnen Zustände und sind mit Adjektiven vergleichbar, z.B.: Ningashkendam Gigashkendam Gashkendam
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Kid ákos Hierbei handelt es sich, um genau zu sein, um verblose Kopulativkonstruktionen, wie wir sie ja auch aus anderen Sprachen kennen, etwa dem Russischen. Es darf noch einmal darauf verwiesen werden, dass das Ojibway keine Hilfsverben besitzt; dementsprechend wird ein Satz des Typs "Ich bin glücklich" nur aus dem Pronomen 'ich' und dem Wort für 'glücklich' gebildet. B 2) Substantivverben. Das sind Verben, die unmittelbar aus einem Substantiv gebildet werden; sie sind durch das Verbalmorphem -w gekennzeichnet, das in der 3.P -wi lautet. Nindakiw Akiwi
aki: Erde; -w: Verbbildungsmorphem; -i: 3.P.Sg. Nindikwew
nin: ich; -d: Prothese vor Vokal; ikwe: Frau; -w: Verbbildungsmorphem Auch bei dieser Gruppe handelt es sich um Kopulativkonstruktionen, die vom selben Gesichtspunkt aus interpretierbar sind wie die Verben der vorangegangenen Gruppe: Da keine Hilfsverben vorhanden sind, bestehen die Sätze aus Pronomina und Substantiven (mit Ergänzungen zur Kennzeichnung der Person). Die Gruppen B1 und B2 entsprechen keinen Verbklassen im korrekten Sinne, sondern lassen sich als eine typische Erscheinung des vorliegenden Sprachtyps interpretieren und gehen auf die Tatsache zurück, dass es im Ojibway keine Hilfsverben gibt. B 3) Unipersonale Verben.Verben, die natürliche Begebenheiten und Zustände wiedergeben und nur in einer Person auftreten, nämlich in der 3.; sie ziehen manchmal infolge einer Analogie das Personifizierungssuffix -magad nach sich, z. B.: Kissiná(magad) Gimiwan Sanagad
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Typisch für diese Verben ist, dass sie auch als Substantive wiedergegeben werden könnten; Gimiwan heißt sowohl "Regen" als auch "es regnet"; anders formuliert: anstatt eines Substantivs wird das Wort als Verb aufgefasst. B 4) Abundanzverben. Verben, die ein reiches Vorkommen eines bestimmten Gegenstands ausdrücken, nur in der 3. Person, z.B.: Assinika Wigwassika B 5) Vorwurfsverben. Sie bringen zum Ausdruck, dass dem Subjekt eine (negative) Eigenschaft zum Vorwurf gemacht wird, z.B.: Aw kwiwisens nibaashki Nimisse nimishki Abschließend ließe sich im Hinblick auf die obige Einschränkung vermuten, dass so ungewöhnlich anmutende Kategorien wie Abundanz- und Vorwurfsverben möglicherweise auf eine analoge Derivation durch ein bestimmtes (von einem konkreten Fall stammendes und dann ausgeweitetes) Suffix zurückgehen. Dies mag jedenfalls für das Suffix -shki zutreffen, das eine Parallele in der Nominalderivation hat:
Zusammenfassend müssen wir noch kurz kritisch auf die Verbgruppen A1 und A3 sowie B1 und B2 verweisen; es handelt sich nicht um Verbklassen im heutigen Sinne, sondern um Baragas vereinigende Interpretation dieser Verbgruppierungen; eine genauere Analyse zeigt, dass wir die Verben des Ojibway anders einteilen müssen. Einige Erscheinungen, wie z.B. Reflexiv-, Reziprok- oder substantivische Derivationssuffixe sind nicht als einzelne Phänomene des Verbs zu betrachten, sondern unmittelbar auf die sich aus dem Sprachtyp ergebenden Strukturen zu beziehen.
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6 DiathesenDas Ojibway kennt zwei Diathesen, Aktiv und Passiv. Beispiel:Aktiv Passiv Das Aktiv unterscheidet sich hier vom Passiv lediglich durch das Vorhandensein des Personalpronomens der 1. Person, nin(d). Das gilt jedoch nur, wenn der Patiens in der 3.P.Sg. steht; das Passiv wird sonst mit dem Suffix -igo zum Ausdruck gebracht; so z.B. beim Verb waabamaa 'sehen':
Vergleichen wir diese Formen mit denen des Aktivs:
Die Schreibweise der Personalpronomina als Präfixe oder getrennte Wörter ist eine Frage der Gewohnheit. Wir sehen aber, dass auch hier die 3. Person einen Sonderstatus einnimmt, da sich die aktive Form in der 3. Person von der passiven nicht durch das Suffix -igo, sondern durch Objektsmarkierungen O- und -n unterscheidet.
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7 SchlusswortWir sehen, dass das Ojibway aufgrund seiner Struktur und einer markanten Vorliebe für Verbalkonstruktionen mit Recht als eine "Verbsprache" bezeichnet wird, wie es bereits Baraga in seiner Grammatik ausdrückt. Allerdings lässt sich gerade anhand derjenigen Verben, an deren Stelle in europäischen Sprachen Substantive oder Adjektive mit Hilfsverben verwendet würden, zum Teil die Vermutung aufstellen, dieser Hang, die Welt zu "verbisieren", entstamme einem Zustand, in dem die Grenzen zwischen Substantiv und Verb fließend sind. Wenn man bedenkt, wie intensiv und langwierig der Sprachkontakt des Ojibway zuerst mit dem Französischen, dann mit dem Englischen war, ist es im Übrigen erstaunlich, wie wenig die typologischen Eigenschaften des Ojibway von diesem Einfluß geprägt sind. Lediglich kleinere Modifikationen sind in der moderneren Sprache feststellbar; eine davon ist typischerweise die wohl auf das Englische zurückgehende Tendenz zur Verwischung des Unterschieds zwischen dem Singular und Plural der 2. Person, die schon ursprünglich nur anhand der Verbendung voneinander unterscheidbar sind.
Zitierte LiteraturBaraga, Friderik (1850a): A theoretical and practical Grammar of the Otchipwe language for the use of missionaries and other persons living among the Indians, Detroit. Boas, Franz (1911): Handbook of American Indian Languages, Washington: Smithsonian Institution, Bulletin 40 of the Bureau of American Ethnology
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