Umzug ins Englische.
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Ich bin fest davon überzeugt, daß die Sprachen aller Länder, die arabische wie die indische, die römische wie die attische, denselben Wert haben und von den Menschen mit ein und derselben Urteilskraft zu ein und demselben Zweck geschaffen worden sind. [...] Wir benutzen sie als Zeugnisse unseres Geistes und um uns gegenseitig die Begriffe unseres Verstandes zu bezeichnen (Speroni 1542/1975: 116).3 |
Pomponazzi bezieht sich mit dieser Auffassung ausdrücklich auf Aristoteles, wenn er dem Humanisten, der gerade die besondere Vorzüglichkeit des Griechischen für die Philosophie gelobt hatte, entgegenhält:
Ich möchte lieber an Aristoteles und an die Wahrheit glauben, daß keine Sprache der Welt, es sei welche man immer will, von sich aus das Privileg haben kann, die Begriffe unseres Geistes zu bezeichnen, sondern daß alles in der Willkür der Menschen liegt. Wer daher über Philosophie mit Mantuanischen oder Mailänder Worten sprechen möchte, dem kann das mit keinem guten Grund verboten werden, wenn man ihm nicht das Philosophieren und das Verstehen der Ursachen der Dinge überhaupt verbieten will (Speroni 1542/1975: 118).4 |
2.2 Pomponazzi spielt an auf die mehr als zweitausend Jahre alte Sprachauffassung des griechischen Philosophen, die sozusagen die abendländische Normalauffassung von der Sprache ist auch weil sie so trivial ist, wie Humboldt einmal bemerkt hat. Nach Aristoteles' De interpretatione ist einerseits das Denken ein Prozeß der Abbildung der Welt, welcher ohne die Sprache stattfindet: Der Geist bildet Vorstellungen von den Sachen. Der Denk-Vorgang ist bei allen Menschen gleich, universell. Wenn man nun andererseits dieses sprachlos Gedachte anderen Menschen mitteilen will, so stehen dafür Laute (phonai) zur Verfügung. Diese sind nicht bei allen Menschen gleich, sondern in den verschiedenen Sprachgemeinschaften verschieden. Wörter sind also nichts anderes als partikuläre Instrumente für die Kommunikation des (ohne Sprache) universell Gedachten, willkürliche, d.h. durch die Tradition gegebene Zeichen (semeia). Die Besonderheit der Sprachen reduziert sich auf eine materielle Verschiedenheit. Universelles Denken und partikuläres Kommunizieren sind deutlich unterschieden und nur locker miteinander verbunden.
Diese aristotelische Sprachauffassung bezieht Pomponazzi nun auf seine Tätigkeit als Wissenschaftler: Denken ist universell, oder, wie es bei Pomponazzi heißt: "Philosophieren und das Verstehen der Ursachen der Dinge" sind universell. Dem universellen wissenschaftlichen Denken stehen die Wörter als Mittel der Kommunikation zur Verfügung, sie haben mit dem Denken nichts zu tun. Die verschiedenen Sprachen sind als bloß materiell verschiedene für das Denken und die Wissenschaft völlig indifferent. Daher sind alle Sprachen auch gleichberechtigt hinsichtlich der Mitteilung des wissenschaftlich Erforschten. Es gibt keinen Grund, eine bestimmte Sprache zu bevorzugen. Ein Anspruch des Lateinischen, der universellen Sprache der universellen Kirche, auf besondere Eignung für die Wissenschaft kann daher nicht begründet werden. Die moderne Naturwissenschaft, die sich am Anfang der europäischen Neuzeit von der Macht der alten Bücher befreit und mit den Gegenständen selbst zu hantieren beginnt, versucht also auch, sich von der alten Sprache zu befreien, in der diese Bücher geschrieben sind, vom Lateinischen. Auch in diesem linguistischen Protestantismus legt sie sich also mit der lateinischen Kirche an. Da kommt das aristotelische Schema gerade recht, das die Unabhängigkeit des Denkens und Erkennens von der Sprache betont und die Sprachen als Sammlung von willkürlichen materiellen Zeichen faßt. Wieso soll der moderne Naturwissenschaftler denn erst noch Lateinisch oder schlimmer noch Griechisch lernen, um Wissenschaft zu treiben, wenn auch das heimische Mantuanische hierfür bestens geeignet ist? Als Wissenschaftler muß er zu den Sachen kommen und nicht an den Wörtern hängenbleiben.5
2.3 Nun läßt die Auffassung von der Willkürlichkeit der materiellen Wörter aber hinsichtlich der Sprache der Wissenschaft gerade auch einen anderen Schluß zu: Wenn diese Sprachauffassung zwar einerseits den Wissenschaftler legitimiert, in seinem heimischen Dialekt Wissenschaft zu treiben, so läßt sie andererseits aber auch die Vielheit der Sprachen als etwas völlig Überflüssiges erscheinen. Wenn die verschiedenen Sprachen nämlich nur verschiedene Schälle sind, die alle dasselbe bezeichnen, dann ist auch der Schluß zulässig, daß die Partikularität der Sprachen eine entbehrliche Vielheit gegenüber der Universalität des Denkens und der Wissenschaft ist. Eine Sprache würde eigentlich genügen. Pomponazzi sagt daher völlig zu Recht auch, daß es eigentlich viel "besser gewesen wäre, wenn es möglich gewesen wäre, überhaupt nur eine einzige Sprache zu haben".6
Nun, praktisch, wie sie ist, hat die Naturwissenschaft heute die hier angedeutete alternative Konsequenz aus der aristotelischen Sprachauffassung gezogen. Warum soll man verschiedene Sprachen in der Wissenschaft haben, wenn es auch eine einzige tut, die geradeso gut ist wie die anderen? "Nur eine einzige Sprache haben" ist wieder Realität geworden. Das Mittelalter (oder das Paradies, wo es nach der Bibel auch nur eine Sprache gab) ist in den Wissenschaften wiederhergestellt. Englisch ist die neue katholische Sprache, das neue, globale Latein.
Doch bevor dies geschah, haben die Europäer erst einmal das Umgekehrte getan und die eine universelle "katholische" Sprache Europas, das Lateinische, abgeschafft.7 In den großen Nationalstaaten erobern die jeweiligen Nationalsprachen die Domänen des Lateinischen. Das diese Entwicklung stützende sprachtheoretische Argument war überall die sich auf Aristoteles berufende Feststellung der Gleichwertigkeit aller Sprachen, die sich allerdings bald in die Behauptung eines besonderen Vorrangs der jeweiligen Nationalsprache verwandeln sollte. An der Geschichte der französischen Sprache im 16. Jahrhundert läßt sich die Ablösung der universellen Sprache der Gelehrten Europas, des Lateinischen, durch die Volkssprache in den höheren Diskursuniversen Verwaltung, Rechtsprechung, Wissenschaften, Techniken, Philosophie, schließlich sogar in der Theologie (der protestantischen natürlich) geradezu bilderbuchartig ablesen (vgl. Rickard 1968). Die Entwicklung ist in Frankreich besonders rasch und gründlich gewesen.
Wenn wir uns nun fragen, was durch die Aufgabe des Lateinischen gewonnen und verloren wurde, so sind sicher die folgenden Punkte zu nennen:
3.1 Zunächst war der Sieg der Volkssprache ein sozialer Sieg: Die Kaste der lateinkundigen Wissenden, der Kleriker, wurde ihrer sprachlich geschützten Exklusivität beraubt. Prinzipiell konnte jetzt auch einer, der nicht Latein gelernt hatte, an den Wissenschaften teilnehmen. Die experimentierenden Naturwissenschaftler waren ja eher Söhne des Volkes, nämlich der Hand-werker, als Söhne der Kirche, Mund-werker. In zunehmendem Maße ermöglichte die Emanzipation vom Lateinischen auch die Partizipation von Frauen an den Wissenschaften (vgl. Beck-Busse 1999). In diesem Sinne war die Ausweitung der Sprache des Volkes auf Diskurs-Domänen der Kleriker ein unschätzbarer Akt sozialer Hygiene: die scharfe Trennung zwischen den Wissenden und den Unwissenden wurde zumindest tendenziell als aufhebbar erfahren.
3.2 Der Gebrauch in den höheren Registern brachte einen großen Prestigegewinn für die Volkssprache: Die Volkssprachen rücken in die prestigereichen Diskurs-Domänen des Lateinischen auf. Dieser Prestigegewinn begünstigt das Entstehen transdialektaler Nationalsprachen, die sich im Rahmen moderner Staaten und durch die revolutionäre Wirkung der Druckerpresse verbreiten und größere Sprachgemeinschaften herstellen, durchaus auch mit weitreichenden politischen Konsequenzen.
3.3 Für die Volkssprachen auch für das Sprechen in den anderen Lebensbereichen war die Ausdehnung auf die "höheren" Redefelder wie Wissenschaft, Philosophie, Jurisprudenz eine ungeheure Bereicherung, sofern man z.B. für das Sprechen über wissenschaftliche Gegenstände volkssprachliche Wörter erfinden mußte von den Namen für Flora und Fauna, für chemische Elemente und Prozesse bis hin etwa zu den philosophischen Begriffen und juristischen Vorgängen und sofern man grammatische Mittel für eine differenzierte Gedankenführung entwickeln mußte, die dann auch dem Reden und Schreiben in anderen Domänen zugute kamen. Die Sprachwissenschaftler sprechen hier vom "Ausbau" einer Sprache.
3.4 Ganz ohne Zweifel ist es, wie Pomponazzi es gewünscht hat, ein Zeitgewinn, wenn der Wissenschaftler (oder der Jurist und Techniker) keine fremde Sprache zumal eine so komplizierte wie das Latein lernen muß, sondern wenn er in einer Varietät seiner Muttersprache Wissenschaft treiben kann. Allerdings hat sich das Dialekt-Modell Pomponazzis nicht durchgesetzt: Wissenschaftssprachen sind in Europa nicht die lokalen Dialekte geworden, sondern die schon erwähnten transdialektalen Gemeinsprachen (koinè), die natürlich durchaus auch einen bestimmten Zeitaufwand zu ihrer Erlernung erfordern. Daß man auch in der Nationalsprache eine neue Redeweise, eben das Register der Wissenschaft, lernen muß, kann nicht in Abrede gestellt werden. Dennoch ist die Verwendung einer Varietät der Muttersprache eine unzweifelhafte Erleichterung für das wissenschaftliche Arbeiten.
3.5 Nicht zuletzt war die Abschaffung des Lateinischen und die Verwendung der Muttersprache an seiner Stelle ein zentrales Moment der geistigen (und geistlichen) Befreiung, des Herstellens von geistiger Autonomie, des Kampfes gegen das "Entfremdetsein" des denkenden Menschen, den die Reformation in Gang gesetzt hat. Zum religiösen Protestantismus, der ein direktes Verhältnis des Menschen zu Gott (und zur Wahrheit) ohne Vermittlung durch fremde Instanzen (Priester, Heilige) herstellt, gehört auch, wie Hegel gezeigt hat, die Befreiung von der fremden Sprache: "Damit ist verbunden, daß das Beten in fremder Sprache und das Treiben der Wissenschaft in solcher abgeschafft ist".8 Da die Muttersprache die erste und einfachste Form des Denkens ist, will der freie (protestantische) Mensch in seiner eigenen Sprache über das Innerste und Höchste (Gott, Wahrheit) sprechen. Aber: "Diese erste Form ist ein Gebrochenes, Fremdartiges, wenn der Mensch in einer fremden Sprache sich ausdrücken oder empfinden soll, was sein höchstes Interesse berührt". Daher muß der durch die fremde Sprache bedingte Bruch, die Entfremdung des Denkens, durch das Verwenden der Muttersprache aufgehoben werden: "[H]ier bei sich selbst in seinem Eigentum zu sein, in seiner Sprache zu sprechen, zu denken, gehört ebenso zur Form der Befreiung."
Weniger philosophisch gesagt: Da man zuerst in seiner eigenen Sprache denken lernt, ist man beim Gebrauch der Muttersprache "näher dran" an dem, was man sagen möchte. Das "höchste Interesse", d.h. Beten und Wissenschaft, rückt nicht in die Ferne der fremden Sprache, sondern bleibt in der Nähe der ersten Bearbeitung der Welt durch die eigene Sprache.
3.6 Beim Übergang vom Lateinischen zur jeweiligen Nationalsprache steht auf der Verlustseite natürlich der Verlust der Möglichkeit internationaler Kommunikation. Aber dieser Aspekt spielt in der Diskussion der Zeit auffälligerweise überhaupt keine Rolle. Für die großen Nationen Europas waren offensichtlich die nationalen Kommunikationsrahmen hinreichend ausgedehnt. Nicht die (universelle) Christenheit oder Europa, sondern die besondere Nation war der Bezugsrahmen der sprachlichen Veränderungen seit der Renaissance. Wo internationale Kommunikationsnotwendigkeiten bestanden, funktionierte ja auch das Lateinische noch eine ganze Weile. Danach sollte das Französische eine gewisse europäische Universalität erreichen. Sogar das Deutsche fand eine Zeitlang in bestimmten Wissenschaften eine gewisse internationale Verbreitung, bis schließlich das Englische die internationale Stellung des Lateinischen wieder einnimmt und heute in vielfacher Hinsicht überbietet.
Der Blick auf die Geschichte sollte dazu dienen, den Blick zu schärfen für die Vorgänge bei der aktuellen Revision der traditionellen europäischen Situation durch die Globalisierung des Englischen. Betrachten wir diese Transformation hinsichtlich der erwähnten sechs Punkte.
4.1 In sozialer Hinsicht ist die neue Diglossie Volkssprache/Englisch durchaus problematisch. Zwar bestand auch in der traditionellen Situation ein Unterschied zwischen der Sprache der Wissenschaften und der alltäglichen Umgangssprache. In Deutschland wurde diese Differenz z.B. in der Klage über das "Soziologen-Chinesisch" artikuliert. Trotz dieser Differenz zwischen Fachsprache und Umgangssprache aber gab es doch ein sprachliches Kontinuum zwischen beiden.
In der neuen Konstellation ist die Trennung wieder scharf wie im Mittelalter. Die Volkssprache tendiert dazu, wie im Mittelalter wieder zur Sprache der Dummen zu werden. Englisch ist die Sprache der Schlauen. Zynisch wird dies z.B. bei modernen Dienstleistungen in Kauf genommen. Diese werden nur noch den Schlauen angeboten: Eine Zeitlang hat die Deutsche Telekom auf ihren Rechnungen Leistungen abgerechnet, die "German Call", "City Call" und "Global Call" hießen. Die Dummen, die nur die Volkssprache können, haben eben Pech gehabt, wenn sie die Telefonrechnung nicht mehr verstehen. Sie sind Modernisierungsverlierer. Für dumm verkauft.
Was als sprachliche Modernisierung daherkommt, ist allerdings in soziolinguistischer Hinsicht ziemlich mittelalterlich: Universell-katholisch, global war das Mittelalter wohl, für die Wissenden, für die Kleriker, aber es war bekanntlich keine besonders demokratische Periode. Immerhin: die Telekom hat die snobistischen Telefonrechnungen für Schlaue inzwischen revidiert. Und außerdem ist es sicher nicht ganz falsch zu sagen, daß das soziolinguistische und politische Problem durch die massive Teilnahme des ganzen Volkes am Englischunterricht, durch die Demokratisierung des Globalen Lateins sozusagen, entschärft wird. Es gibt tendenziell sozusagen nur noch zweisprachige Schlaue. Ob dies tatsächlich der Fall ist, müßte allerdings einmal gründlich sozialwissenschaftlich untersucht werden.
4.2 Wenn das Sprechen und vor allem das Schreiben in prestigereichen Diskursdomänen in der Fremdsprache abgewickelt werden, bedeutet dies natürlich einen Prestigeverlust für die nationale Standardsprache. Diese sinkt in gewisser Hinsicht auf das Niveau eines Dialekts, also einer nur in alltäglichen und mündlichen Situationen gebrauchten Sprachvarietät.
Wo es noch lokale Dialekte gibt, wie in Deutschland und Italien, stärkt die Schwächung der Standardsprache die Position dieser Dialekte erheblich. Die Standardsprache wird gleichsam zwischen dem Englischen und den Dialekten aufgerieben. Wenn wir etwa das Varietätengefüge der Schweiz betrachten, so ist gut denkbar, daß dort, wo die Schweizer jetzt noch das sogenannte Schriftdeutsch verwenden, Englisch erscheint und der schriftdeutsche Standard einfach verschwindet. Dies wäre der Abschied der Schweiz aus der deutschen Sprachgemeinschaft.
4.3 Wenn sich eine Sprache aus Wissenschaften und Technik zurückzieht, dann wird der Ausbau der entsprechenden Register dieser Sprache zurückgenommen. Im Deutschen kann man die Folgen dieser Entwicklung schon sehr deutlich sehen. Da man die Volkssprache in den entsprechenden Bereichen Wissenschaften, Computertechnik, Medien nicht mehr verwendet, gibt es auch keine volkssprachlichen Wörter für die Sachen, über die dort gesprochen wird. Termini technici aus der Fremdsprache bleiben unübersetzt und werden zumeist auch phonetisch, graphisch und morphologisch nicht adaptiert in die allgemeine Volkssprache übernommen, so daß ein unelegantes, also ästhetisch und sprachstrukturell problematisches Gemisch entsteht.
Auch dies ist eine Entwicklung, die wieder mit mittelalterlichen Sprachzuständen vergleichbar ist: "Denn das spekulative, historische und überhaupt wissenschaftliche Denken gehörte damals dem Latein und war in den Muttersprachen nur als Lehngut oder Abguß vorhanden" (Vossler 1925: 239f.). Rabelais hat diese Deponie gelehrten Wortguts in der Volkssprache 1532 im Pantagruel karikiert, wo er einen Studenten in einem grausigen französisch-lateinischen Sprachgemisch sprechen läßt, die dieser selbst "verbocination latiale" nennt:
Nous transfretons la Sequane au dilicule et crepuscule; nous deambulons par les compites et quadrivies de l'urbe; nous despumons la verbocination latiale; et, comme verisimiles amorabonds, captons la benevolence de l'omnijuge, omniforme, et omnigene sexe feminin. Certaines diecules, nous invisons les lupanares, et en ecstase venereique, inculcons nos veretres es penitissimes recesses des pudendes de ces meretricules amicabilissimes. (Pantagruel, chap. VI [Rabelais 1962: 244f.]) |
In aktuellen deutschen Publikationen wird gern die strukturell vergleichbare Redeweise einer Modedesignerin zitiert, die gesagt haben soll: "Mein Leben ist eine Giving-story ... Wer Ladysches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils". Und die trendige Intellektuelle steht der Dame aus der Modebranche in nichts nach: "Das Business ist ein Mannschaftsspiel, in dem gemischte Qualifikationen zählen. [...] Es gilt, intelligentes Know-How mit emotionaler Power zu mischen" (zit. nach Drews 1999: 16).
Das Aufgeben der wissenschaftlichen Register hat erhebliche Folgen für die "Architektur" der Sprache, wie die Sprachwissenschaftler das komplizierte Gefüge der verschiedenen Varietäten einer historischen Einzelsprache nennen (Soziolekte, Dialekte, Register). Eine Sprache ist nach dieser Metapher ein "Haus" mit verschiedenen Etagen und Räumen für die verschiedensten Zwecke, die aber alle zusammenhängen. Wenn die wissenschaftlichen Register verschwinden, dann ist das, als ob die obere Etage und das Dach des Hauses abgebrannt wären. Die Bewohner der oberen Etage sind umgezogen. Ins Offene? Herr Doktor wohnt hier nicht mehr. Das hat, wie wir gesehen haben, ganz offensichtlich zur Folge, daß es reinregnet, was dem gesamten Haus nicht gut bekommt. Karl Vossler geht so weit, einer Sprache ohne solches Dachgeschoß, d.h. "einer Sprache mit schwach entwickeltem Logos, also etwa ohne philosophische und historische Literatur und Schulung" den Status einer (vollausgebauten) "Sprache" überhaupt abzusprechen: "Eine solche Sprache ist Patois oder Mundart, im besten Fall Dialekt" (Vossler 1925: 239). Man braucht dieser etwas veralteten Wertung nicht zuzustimmen, richtig ist jedoch, daß es sich um verschiedene Typen von "Häusern" handelt.
Hier ist die Stelle, wo das Problem der Globalisierung des Englischen in den Wissenschaften mit dem eingangs genannten Problem des Eindringens englischer Wörter verbunden ist. Und hier ist offensichtlich auch die Stelle, wo kultur- und sprachpolitische Aktivitäten erforderlich sein können: Spezialisten wie Dieter E. Zimmer und Harald Weinrich fordern Übersetzungsanstrengungen und Vermittlungsleistungen der Wissenschaftler: Wenn, wie Hubert Markl schreibt, die Spitzenforschung englisch spricht, so hat sie doch auch die gesellschaftliche Verpflichtung, ihre englisch formulierten Spitzenforschungsergebnisse für die nationale Gemeinschaft zu popularisieren (die sie ja finanziert). Hier liegt ein bedeutender nationaler Erziehungsauftrag vor, der mit einer wichtigen kulturellen Aufgabe, der Pflege des wissenschaftlichen Registers der Nationalsprache, einhergeht. Ob er wahrgenommen wird, scheint zunehmend zweifelhaft. Die Tendenz geht eher dahin, die Vermittlungsleistung durch eine totale Anglisierung des wissenschaftlichen Sprechens überflüssig zu machen und die nationale Standardsprache damit ihrem Schicksal, d.h. der unangepaßten Übernahme englischer Wörter, zu überlassen. Den unausgesetzten Aufforderungen der öffentlichen Modernisierer, daß Schulen und Universitäten Wissenschaft auf englisch treiben sollen, sowie der unablässigen Propagierung eines frühkindlichen Englischunterrichts stehen jedenfalls keine entsprechenden Bemühungen um die deutsche Standardsprache gegenüber.
4.4 Der Zeitgewinn, den sich Pomponazzi durch das wissenschaftliche Arbeiten in der Muttersprache versprach, geht natürlich wieder verloren. Jeder Wissenschaftler muß Englisch lernen, wozu durchaus einige Zeit aufgewendet werden muß. Nur ist zum Zeitargument folgendes zu sagen:
a. |
Die europäischen Wissenschaftler haben in der Vergangenheit trotz Pomponazzi und trotz der Verwendung der nationalen Wissenschaftssprache meist mehrere Sprachen gelernt: Latein, Englisch, Französisch, Deutsch, manchmal Griechisch. Wenn sie jetzt nur noch Englisch lernen, so verwenden sie vermutlich eher weniger Zeit auf das lästige Sprachenlernen als früher. |
b. |
Gegen Pomponazzis Zeitargument, das sich bis heute immer wieder in Äußerungen prominenter Naturwissenschaftler findet, muß vor allem gesagt werden, daß es kein Zeitverlust ist, eine fremde Sprache zu lernen. Unser massives Englisch-Studium hat uns die reiche englische und amerikanische Kultur eröffnet. Wo ist der Zeitverlust? Wir modernen Deutschen sollten allerdings vor lauter Begeisterung für die schöne neue Welt nicht vergessen, daß es neben der amerikanischen auch noch andere Kulturen und Sprachen gibt. |
c. |
Die einzigen, die definitiv keine Zeit mehr durch das Erlernen fremder Sprachen verlieren, sind anglophone Wissenschaftler. Vor allem die Amerikaner, die vor nicht allzu langer Zeit noch deutsch oder französisch zumindest lesen konnten, sparen sich diese Mühe jetzt, wo sie alles Relevante in ihrer eigenen Sprache lesen können.9 |
d. |
Dies ist jedoch ein erheblicher kultureller und intellektueller Verlust für die Anglophonen. Auch hier wäre eventuell eine erzieherische Aktivität ins Auge zu fassen: Man müßte für die Einsicht werben, daß Einsprachigkeit heilbar ist. Um die Mühe der Erlernung einer Sprache auf sich zu nehmen, braucht man allerdings eine andere Sprachauffassung als die praktische, aristotelische. Ich komme im letzten Teil darauf zurück. |
4.5 Zweifellos ist die Wiedereinführung der fremden Sprache für die Wissenschaft ein Vorgang geistiger Entfremdung oder, wie Hegel an der oben zitierten Stelle dramatisch sagte, ein Moment von "Knechtschaft", "ein Gebrochenes, Fremdartiges". Jeder wissenschaftlich Denkende und Schreibende spürt diesen "Bruch mit dem ersten Heraustreten in das Bewußtsein" (d.h. mit der eigenen Sprache), wenn er die fremde Sprache verwenden muß.
Man kann dieser sprachlichen Verfremdung allerdings auch eine positive Seite abgewinnen, wenn man sie als einen heilsamen Prozeß der Objektivierung versteht. Gewiß ist sie auch in den verschiedenen Wissenschaften verschieden gravierend, in den Geisteswissenschaften ist sie einschneidender als in anderen Wissenschaften. Dennoch bleibt es ein nicht zu leugnendes kognitives Problem und ein hoher Preis für die Globalisierung, gerade im wissenschaftlichen Tun, also gerade da, wo das "höchste Interesse" des Menschen berührt ist, nicht "bei sich in seinem Eigentum zu sein, in seiner Sprache zu sprechen, zu denken".10
Allerdings manifestiert sich in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Gemeinschaft eine besonders starke Tendenz, nicht im Eigenen zu verbleiben, eine angesichts der deutschen Geschichte politisch motivierte Sehnsucht nach einem Hintersichlassen der deutschen Sprache. Dieser Wunsch der wissenschaftlichen Elite nach Entfernung vom Eigenen ist ein zentrales Moment dessen, was Christian Meier das "Sichwegdrücken einer 100 Millionen umfassenden Sprachgemeinschaft" nennt (1999: 14). Die Gewinnung der sprachlich-kognitiven Fremde erscheint in dieser kollektiven Emigrationsbewegung natürlich als ein Gewinn, nicht als ein Verlust, als ein Umzug ins Offene, ins Unschuldige.
4.6 Der wirklich große Gewinn der Globalisierung des Englischen ist natürlich der Gewinn der Möglichkeit internationaler Kommunikation. Überall auf dem Globus wird man verstanden und versteht, was gesagt oder geschrieben wird. Überall? Überall außer in Amerika und England. Ich spiele damit an auf folgende Probleme, die zu beobachten sind, sobald anglophone Muttersprachler an internationalen Kommunikations-Zusammenhängen beteiligt sind:
a. |
Sie finden unsere Versionen des Englischen unerträglich und lassen es uns spüren. |
b. |
Sie geben sich allerdings ihrerseits keinerlei besondere Mühe, uns ihre jeweilige lokale Variante des Englischen verständlich zu machen. |
c. |
Sie dominieren in internationalen Kommunikationssituationen, so daß das kommunikative Gleichgewicht oft erheblich gestört ist. |
d. |
Sie intervenieren bei unseren schriftlichen Produkten, als ob sie die Besitzer der englischen Sprache wären, und behindern generell die Publikation von Texten nicht-muttersprachlicher Autoren (die natürlich "schlechter" sind). |
Hier eröffnet sich ein weites Betätigungsfeld für die Verbesserung der sogenannten "internationalen Kommunikation", die für die Mehrheit der Beteiligten eine prekäre diglossische Situation ist: Es müßte sprachliche Toleranz, Kommunikationsgerechtigkeit, Chancengleichheit hergestellt werden. Allerdings stehen meines Erachtens hierfür die Chancen schlecht. Denn hier liegt der einzig wirklich erhebliche strukturelle Unterschied zur mittelalterlichen Sprachkonstellation: Das Latein war niemandes Muttersprache (außer Montaignes), es gehörte niemandem, alle mußten es lernen. Das schaffte Kommunikationsgerechtigkeit. Das Englische aber ist die Muttersprache einer großen Zahl von Sprechern und der mächtigsten Nation der Welt. Das schafft ungleiche Startbedingungen, ungerechte Vorteile, unverdiente Nachteile.
Der Umzug ins vermeintlich offene Englische ist, so zeigt sich nun, nämlich in Wirklichkeit ein Umzug in die Untermiete. Oben habe ich die Konsequenzen des Auszugs aus den oberen Stockwerken für das Haus der Nationalsprache betrachtet. Was aber erwartet die Umziehenden (außer der Bereicherung und der willkommenen oder unwillkommenen Entfremdung)? Die vorher Eigentümer im alten Haus waren, ziehen zur Untermiete in die obere Wohnung eines anderen Hauses, in dem sie natürlich nichts zu sagen haben.
Vielleicht sollte man sich die "Architektur" der Sprache auch nicht als Einfamilienhaus vorstellen, sondern das Ensemble der Sprachen der Welt eher mit einem großen gemeinsamen Wohnkomplex vergleichen. Da gibt es größere und kleinere Wohnungen, prächtige und ärmlichere, junge und alte Bewohner, Familien mit vielen Kindern und Verwandten, und einsame Damen, laute Nachbarn, liebe und böse Mitbewohner. Auf diesem Wohnhaus könnte man sich nun einen schönen gemeinsamen Dachgarten mit einem Schwimmbad bzw. swimming pool vorstellen. Gemeinsam Dachgarten und Schwimmbad zu nutzen, ist natürlich viel amüsanter und spart auch Energie. Das Dumme ist nur, daß Dachterrasse und Pool eben kein echter Gemeinbesitz sind, sondern einem besonders reichen Mitbewohner gehören, der den anderen ein Mitnutzrecht eingeräumt hat. Rauswerfen kann er die Mitnutzer nicht, aber besonders entzückt ist er auch nicht, daß da so viele andere sind, so daß er streng auf die Einhaltung seiner Regeln achtet. Es werden nur seine Handtücher benutzt, seine Liegestühle, das Schwimmen verläuft streng nach seinen Regeln. Jeder, der schon einmal in einem amerikanischen Pool war, weiß, was ich meine: slow lanes, medium lanes, fast lanes. Das war im Mittelalter besser: Da gehörte das Dachgeschoß niemandem, es war wirklich Gemeinbesitz bzw. Besitz einer alten Tante, die nichts zu sagen hatte. Es ging sicher ein bißchen altertümlich auf dem Dache zu, jeder brachte auch seine eigenen Handtücher mit, das Mobiliar war bunt, und im Pool ging es drunter und drüber. Dann aber hatten die reichsten Bewohner das Dachgeschoß eine Zeitlang untereinander aufgeteilt, bis jener ganz große die Dachterrasse insgesamt an sich brachte und die anderen nur als Untermieter und Mitnutzer duldete. Angesichts der politischen und kulturellen Hegemonie der Vereinigten Staaten bestehen nur wenige Aussichten darauf, daß sich an den Besitzverhältnissen in absehbarer Zeit irgendetwas ändert. Die Gründung eines Mietervereins scheint aber angezeigt.
Im letzten Teil möchte ich auf die von Pomponazzi zitierte aristotelische Sprachauffassung zurückkommen und auf das mit ihr sich stellende sprachtheoretische Problem, das wir bisher noch gar nicht behandelt haben, nämlich auf die Frage der Individualität, der jeweiligen besonderen Eigenart der Einzelsprachen angesichts der Universalität der Wissenschaft.
5.1 Die Globalisierung des Englischen wird zum Glück kaum mit einer besonders herausragenden Qualität dieser Sprache begründet, wie dies in der Renaissance seitens der humanistischen Gelehrten bezüglich des Lateinischen geschah und später hinsichtlich des Französischen, das sich aufgrund seiner besonderen clarté besonders zur Universalsprache eigne. Das Englische hat sich einfach aufgrund der gewaltigen Macht Amerikas und Englands durchgesetzt. Gleichwohl hat Jacob Grimm (1851) eine besondere strukturelle Eignung des Englischen als Weltsprache behauptet (vgl. Grimm 1986: 199). Wenn man aber aristotelisch denkt und alle Sprachen nur für verschiedene Signifikanten, für nur materiell verschiedene Zeichen, hält, so ist die Globalisierung des Englischen ein für das Denken oder die Wissenschaft selbst völlig gleichgültiger Vorgang: warum nicht Englisch? So wie Pomponazzi vorher gesagt hat: warum nicht Mantuanisch?
Nun hat allerdings gerade im Rahmen des Aufstiegs der Nationalsprachen zu Sprachen der Wissenschaft das europäische Nachdenken über die Sprache entdeckt, daß die Besonderheit der Sprachen sich nicht nur auf die Laute beschränkt. Durch den Verlust des scheinbar universellen Lateinischen haben die europäischen Gelehrten nämlich allmählich gemerkt, daß die Partikularität der Sprachen sich auch auf das Inhaltliche, auf das Semantische bezieht. Zunächst bemerkte und kritisierte Francis Bacon, der Vater des modernen Europa, daß in den Sprachen des Volkes volkstümliche Vorurteile sedimentiert sind (idola fori) (vgl. Bacon 1620/1858: 170f., Aphorismus 59). Dies war einerseits eine Warnung an die gelehrten Männer, nicht in der Sprache des dummen Volkes Wissenschaft zu treiben, andererseits aber auch die Entdeckung der Tatsache, daß schon in den Wörtern "Gedanken" (wenn auch falsche) enthalten sind, daß also sprachliche Besonderheit sich nicht nur auf die Laute beschränkt, wie Aristoteles meinte. Locke hat dann ganz deutlich gesehen, daß auch die Bedeutungen der Wörter von Sprache zu Sprache verschieden sind (vgl. Locke 1690, III, v, 8). Europa lernt also durch die Begegnung mit seinen eigenen Sprachen und dann immer deutlicher durch die Begegnung mit den Sprachen der Welt, zunächst Amerikas, dann aber auch Asiens, daß die Sprachen strukturell höchst verschieden sind und daß in den Sprachen je besonderes Denken sedimentiert ist. Verglichen mit der aristotelischen Vorstellung, nach der "Sprache" eigentlich nur der je verschiedene Laut ist, wird damit auch der "Begriff", der "Gedanke" ein Produkt der jeweiligen partikulären Sprache. Die fraglos angenommene Universalität des Denkens löst sich damit auf in die Verschiedenheit des "Denkens in Sprache", wie Humboldt es nennt. Diese Einsicht liegt natürlich auch der oben zitierten Passage von Hegel zugrunde, dessen Argumentation auf der Annahme einer kognitiven Differenz zwischen der eigenen und der fremden Sprache basiert. Das europäische Nachdenken über die Sprachen entdeckt also, daß der menschliche Geist sich in vielen verschiedenen Sprachgeistern verschieden manifestiert, in Humboldts Worten: "Ihre Verschiedenheit ist nicht eine von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst" (Humboldt IV: 27). Der Auftrag der Sprachwissenschaft war gerade die Erforschung dieser Weltansichten der verschiedenen Sprachnationen.11
Erst diese Entdeckung der in den Sprachen sedimentierten Weltansichten macht auch das Sprachenlernen interessant und zu einer wichtigen ja der wichtigsten Quelle der Erfahrung geistiger und kultureller Alterität. Diese Einsicht, das meinte ich oben, sollte das Erlernen fremder Sprachen auch Amerikanern als eine sinnvolle Anstrengung erscheinen lassen. Die bloße Aussicht auf praktische Kommunikation (vom Typ: "Où est la gare?", "Quanto costa?"), die ja tatsächlich inzwischen überall auf der Welt auf englisch abgewickelt werden kann, lockt natürlich keinen Anglophonen mehr hinter dem fremdsprachendidaktischen Ofen hervor, vielleicht aber die Aussicht auf die Gewinnung verschiedener Ansichten der Welt?
5.2 Bedeutet die Entdeckung kognitiver Verschiedenheit der Sprachen nun, daß die Universalität der Wissenschaft überhaupt gefährdet ist, daß jedes Denken durch die partikulare Einzelsprache geformt ist und daß gar kein universell "wahres" Denken möglich ist? Dann wäre auch der Umzug ins Englische nur der Umzug aus einem Gefängnis des Geistes in ein anderes. Extreme Relativisten behaupten dies. In der Tat produzieren die Menschen das Denken zunächst in ihrer besonderen Sprache, die "das erste Heraustreten in das Bewußtsein" ist (Hegel 1986: 52f.). Die Menschen lassen aber durch ihre geistige Tätigkeit die Einzelsprache hinter sich, sie bilden Konzepte jenseits der Einzelsprache, sie erzeugen universelles Wissen über die Welt. Die Einzelsprachen geben uns zwar die Welt auf eine bestimmte Art und Weise, wir transzendieren dieses Gegebensein aber durch unsere geistige Arbeit. Jenseits des kulturell Besonderen gibt es nämlich nicht nur die universellen kognitiven Dispositive (den menschlichen Körper insgesamt, Augen, Ohren, neuronale Vorgänge etc.), die allen Menschen von der Natur gleichermaßen gegeben sind, sondern darüber hinaus gerade auch Wissenschaft als ein Verfahren, in der Objektivität der Sachen selbst die einzelsprachlichen Signifikate durch ein universelles Wissen zu überwinden. Wie Wissenschaft bzw. das Nachdenken und Erforschen der Welt dies tut, zeigt folgendes klassische Beispiel: Der Wal wurde von der deutschen Sprache lange als ein "Fisch" aufgefaßt: Walfisch. Die Biologie hat uns aber belehrt, daß der Wal ein Säugetier ist, und die Deutschen hatten trotz des sprachlichen "Vorurteils" (idolon fori) über dieses Tier keine Schwierigkeit, dieses als Säugetier zu denken. Vielleicht läßt sich die Entdeckung der Einzelsprachlichkeit der Signifikate so zusammenfassen, daß die Einzelsprache zwar das Denken "färbt", aber ohne daß sie es in ein partikulares Gefängnis einsperrt, wie die Relativisten glauben.
5.3 Welche Folge hat nun die Entdeckung der semantischen Individualität der Sprachen und der einzelsprachlichen "Färbung" des Denkens für unsere Frage nach der Globalisierung des Englischen als Sprache der Wissenschaft? Hier muß man meines Erachtens unterscheiden zwischen den Wissenschaften, die mehr in der Objektivität der Welt agieren, und solchen, die gleichsam in der Sprache verbleiben. Grob gesagt meine ich folgendes: Ein experimentierender Naturwissenschaftler hantiert mit Instrumenten und mit den Gegenständen der Welt. Die Sprache dient bei diesem Tun im wesentlichen dazu, objektive Sachverhalte zu bezeichnen. Der Forscher braucht sich dabei nicht besonders geistvoll oder "schön" auszudrücken, er teilt z.B. mit, welches Ergebnis bestimmte Messungen ergeben haben. Die besondere Semantik einer Einzelsprache spielt dabei keine große Rolle. Die Besonderheit der jeweiligen Sprache wird bei diesem wissenschaftlichen Gebrauch gerade "getilgt", wie Humboldt in diesem Zusammenhang gesagt hat, die Sprache wird hier als "willkürliches Zeichen" verwendet (Humboldt IV: 29). Für diese das Objektive bezeichnende Verwendung der Sprache trifft daher das aristotelische Modell im wesentlichen durchaus zu. Ein solches Sprechen und Schreiben ist auch in einer fremden Sprache leicht zu erlernen, dazu braucht man kein Muttersprachler zu sein. Bei diesem Typ von im Objektiven hantierender Wissenschaft ist es tatsächlich mehr oder weniger gleichgültig, welche Sprache benutzt wird: das heimische Mantuanisch oder das nicht so heimische Englisch. Gegenüber dem wenig verbreiteten Mantuanischen scheint allerdings, wenn man die erwähnten Verluste abrechnet, die Wahl des Englischen für die internationale Kommunikation einigermaßen vorteilhaft zu sein.
Etwas anderes ist es in den Wissenschaften, die mehr im Sprachlichen verbleiben, deren Gegenstand auch nicht so sehr das Universelle (der Natur), sondern das Partikulare (der Kultur) ist, wie in der Geschichte und den interpretierenden Disziplinen. Deren Zentrum liegt ja eher in der sprachlichen Gestaltung ihrer Deutungen, bei der die einzelne Sprache und der persönliche Stil des Forschers entscheidend sind. Hier muß der Forscher über die ganze Fülle seiner sprachlichen Mittel verfügen, wie ein Dichter, der ja auch nicht das, was er sagen will, einfach in einer anderen Sprache sagen kann. Und das kann er zumeist nur in der eigenen Sprache. Wir Geisteswissenschaftler merken auf jedem internationalen Kongreß mit besonderer Schärfe, welches unglaubliche handicap es ist, nicht in der Muttersprache sprechen und schreiben zu können, selbst wenn wir das Englische gut können und selbst wenn wir glücklich sind über die Gelegenheit zur internationalen Kommunikation. Was wir sagen wollen, sagen wir schlecht bzw. nicht so gut, wie wir es in unserer Muttersprache sagen könnten, deren Ausdrucksmöglichkeiten und deren "Farbe" konstitutiver Teil unserer Deutungen sind. "Hier bei sich selbst in seinem Eigentum zu sein, in seiner Sprache zu sprechen, zu denken" (Hegel 1986: 53), gehört nicht nur zur protestantischen Befreiung des Geistes, sondern ist Bedingung unserer wissenschaftlichen Arbeit. Wir müssen also auch weiterhin in unseren Sprachen schreiben dürfen. Hier wäre das Schreiben in der fremden Sprache wirklich ein wissenschaftlicher Verlust.
5.4 Abschließend daher ein kulturpolitischer Vorschlag. Es ist nicht einzusehen, daß zwar jede Zeile, die in Harvard und Poughkeepsie geschrieben wird, rund um den Globus gelesen wird, daß aber nichts von dem, was in Berlin und Heidelberg auf deutsch geschrieben wird, jenseits von Flensburg und Garmisch-Partenkirchen wahrgenommen wird, obwohl es genauso gut ist. Diese Einseitigkeit der internationalen Kommunikation durch die Globalisierung ist einfach unerträglich. Da außerdem die Sprachkenntnisse in Harvard und Poughkeepsie entschieden nachgelassen haben, besteht auch überhaupt keine Chance mehr, jemals im Zentrum des Empire gelesen zu werden. Da wir aber natürlich ebenfalls planetarisch gelesen werden wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Werke auf englisch zu publizieren. Und genau hier brauchen wir Hilfe: Wir brauchen eine Politik der Förderung englischer Übersetzungen und Veröffentlichungen geisteswissenschaftlicher Werke. Konkret: wir brauchen Mittel, unsere Bücher übersetzen zu lassen. Es geht nicht an, daß wir das selber tun. Das wäre nicht nur ein wirklich unerträglicher Zeitverlust, sondern auch noch verlorene Liebesmüh: Wir können es einfach nicht so gut wie Muttersprachler. Und wir brauchen Hilfe beim Ausbau des englischsprachigen Verlagswesens außerhalb der USA und Großbritanniens.
Im Rahmen der Globalisierung setzen die Regierungen sich eifrig dafür ein, daß die materiellen Produkte ihrer Länder global verbreitet werden. Hier wird ein Engagement für die globale Verbreitung ihrer geistigen Erzeugnisse gefordert in der Sprache der Globalisierung. Ich könnte mir vorstellen, daß dieses Engagement sich in ideeller und materieller Hinsicht durchaus bezahlt macht.
The German universities will not attract students from abroad by giving lectures in (bad) English. But (good) foreign students will come because they will have read our wonderful books in English, of course.
Ammon, Ulrich (1991): Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin/New York: de Gruyter.
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* Erscheint auch in Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001), "Umzug ins Offene".
1 Vgl. insbes. Ammon 1991 und 1998; s. auch Meier (Hg.) 1999, Zimmer 1997.
2 Vgl. den ersten Band von Olschki 191927.
3 "Io ho per fermo, che le lingue d'ogni paese, così l'Arabica e l'Indiana, come la Romana e l'Ateniese, siano d'un medesimo valore, e dai mortali ad un fine con un giudicio formate. [...] le quali usiamo siccome testimoni del nostro animo; significando tra noi i concetti dell'intelletto " (dt. Übersetzung J.T.).
4 "Più tosto vuò credere ad Aristotile e alla verità, che lingua alcuna del mondo, sia qual si voglia, non possa aver da se stessa privilegio di significare i concetti del nostro animo; ma tutto consista nello arbitrio delle persone. onde chi vorrà parlar di filosofia con parole Mantovane o Milanesi, non gli può esser disdetto a ragione; più che disdetto gli sia il filosofare e l'intender la cagion delle cose".
5 Schon Platon, der Ur-Wissenschaftler, präferiert am Ende des Kratylos bekanntlich sprachlose Erkenntnis vor dem Denken durch Sprache.
6 "[M]eglio sarebbe stato, se fosse stato possibile, l'aver un sol linguaggio" (Speroni 1542/1975: 124). In seinem Antagonismus gegen den Humanisten, der ihm das Lateinische als überlegen und besonders wertvoll verkaufen will, übersieht Pomponazzi ganz offensichtlich die Tatsache, daß zumindest die Wissenschaft seiner Zeit durchaus noch eine einzige Sprache, eben das Lateinische, hatte.
7 Das klassische Werk über die Einführung der Volkssprachen in die Wissenschaften ist Olschki 191927.
8 Dieses und die folgenden Zitate: Hegel 1986: 52f.
9 Auch politisch hält das Empire Kenntnisse fremder Sprachen offensichtlich für entbehrlich. Nach Ammon (1991: 326) ist die amerikanische Botschaft in Bonn die einzige, die nicht auf deutsch mit ihrer Umwelt kommuniziert.
10 Die Zitate dieses Abschnitts stammen aus Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Hegel 1986: 52f.).
11 Auch wenn eine international erfolgreiche Richtung der amerikanischen Linguistik uns weismachen will, dies sei alles eine Täuschung, es gebe gar kein "Denken in Sprache", so gibt es doch nach wie vor viele Sprachwissenschaftler, die ihre Aufgabe darin sehen, dieses diverse Denken zu erforschen.